Camino Mozárabe

Camino Mozárabe

14. März 2015

Es zieht mich zurück auf den Jakobsweg! Doch es ist nicht allein das Klima, das warme Wetter, die milde Luft und die stete Nähe des Weges zum Atlantik - es ist der Spitit des Camino, der mir in den letzten vier Jahren gefehlt hat. Außerdem konnte ich endlich meine Freundin Uschi dazu überreden, mich auf eine Wanderung nach Spanien zu begleiten. Ich wäre ja sofort den Camino del Norte noch einmal gegangen, doch Uschi hat mein Buch über diesen Pilgerweg gelesen und fürchtet nun, auf Schritt und Tritt entsetzlich zu frieren. Seltsam: ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass es damals so kalt gewesen sein soll!


Egal, Camino ist Camino und Spanien ist Spanien! So dachte ich zumindest vor der Reise und ließ mich dazu überreden, dieses Jahr den Süden Spaniens zu erkunden. Doch ich hatte mich schwer getäuscht. Spanien ist eben nicht gleich Spanien und Camino nicht gleich Camino! Der trockene Süden mit seinen riesigen Olivenhainen ist mit den Wäldern und grünen, feuchten Hügeln des Nordens nicht zu vergleichen. Und der Camino Mozárabe ist eben nicht der Camino del Norte!


Wir haben uns diesen relativ jungen Jakobs-Pilgerweg ausgesucht, den man gleich in drei bzw. vier verschiedenen Städten Andalusiens beginnen kann. Die östliche Route verläuft von Almería ausgehend über Granada und vereinigt sich nach 280 km in Alcaudete mit der Route aus Jaén, das etwa 43 km nördlich liegt. Viele Pilger sparen sich allerdings die ersten 200 Kilometer und beginnen in Granada, das alleine der Alhambra wegen schon einen ersten pilgerfreien Besichtigungstag lohnt. Die südliche Route, für die wir uns entschieden haben, hat ihren Startpunkt an der Iglesia Santiago in Málaga und trifft nach gut 150 km in Baena auf den Granada-Jaén-Weg. Ab hier führt der Camino Mozárabe über Córdoba (ca. 60 km) in die nochmals gut 240 km entfernte, durch und durch römische Stadt Mérida. Von Málaga nach Mérida liegen demnach etwa 450 km vor uns. Und dann – die Via de la Plata, auf der wir bis Santiago de Compostela und, letztendlich, bis nach Finisterre weiterwandern wollen. Insgesamt also 1200 km. Vom trockenen Süden Spaniens in den niederschlagsreichen grünen Norden – vom Mittelmeer bis zum Atlantik. Genau dies ist, neben der „Faszination Jakobsweg“, der Grund dafür, weshalb wir die Málaga-Route wählen.


Bevor wir beide aber zu unserer Wanderung aufbrechen, verbringe ich zunächst eine Woche zusammen mit meiner Mutter, meiner Schwester Claudia und ihrer Tochter, meiner Patentochter, Dorothée in der Nähe von Antequera, im Herzen Andalusiens. Uschi möchte nämlich für den Anfang nur eine Woche lang das Pilgern sozusagen ausprobieren. Sie weigert sich auch, es Pilgern zu nennen, sondern beharrt darauf, dass wir wandern.


Ich habe für diese Familien-Urlaubswoche eine Ferienwohnung gemietet, die Villa Antisa, mit großem Garten und Pool und ich freue mich auf den Urlaub mit den dreien und auch darauf, der deutschen Kälte zu entfliehen und mich im sonnigen Andalusien am Pool zu räkeln. Doch bei unserer Ankunft in Málaga ist die Temperatur deutlich unter 20°C und es nieselt leicht. Ich will es kurz machen: die Woche ist kalt und verregnet und in den Pool springe ich nur fürs Foto und gehe danach sofort unter die heiße Dusche.

Es ist dennoch eine angenehme Zeit, die wir zusammen verbringen. Wir erzählen viel in dieser Woche, vor allem abends am Kaminfeuer, lachen noch mehr und streiten auch ein bisschen. Aber auch das gehört dazu. Solange man sich wieder verträgt, ist das völlig in Ordnung.

Am einzigen sonnigen Tag besichtigen wir El Torcal mit seinen außergewöhnlichen Felsformationen und machen einen ausgedehnten Spaziergang durch diesen Mini-Nationalpark.

Wir fahren im strömenden Regen nach Granada, um die Alhambra zu besichtigen und sind schwer beeindruckt von dem, was die Mauren da gebaut haben.

Bei unserem Ausflug nach Ronda, ebenfalls im Regen, wagen Claudia und ich den Abstieg in die Schlucht und stehen unter der gigantischen Brücke, welche die beiden Teile dieser Felsenstadt miteinander verbindet. Auf dem Rückweg zur Villa Antisa bin ich der Meinung, dass es eine viel kürzere Strecke geben müsste, als die über die Autobahn. Sie ist auch kürzer aber wir sind auf meiner Abkürzung etwa dreimal so lang unterwegs wie auf der Autobahn. Dafür sehen wir mehr.

Auch der Stadt Córdoba statten wir einen Besuch ab und hier trennen wir uns. Claudia und Dorothée möchten Shoppen gehen, während Mama und ich uns lieber die Stadt und die Mezquita anschauen wollen.


21. März 2015

Die Familienwoche ist nahezu vorbei, das Wetter ist unverändert wechselhaft. Wir fahren am Morgen nach Málaga und holen Uschi vom Flugplatz ab. Claudia will mit Mama und Dorothée sehen, was Málaga zu bieten hat. Wir haben es nämlich in der vergangenen Woche tatsächlich nicht geschafft, uns diese Stadt einmal anzusehen. Uschi und ich wollen dagegen gleich mit unseren Rucksäcken losziehen. Monatelang haben wir uns darauf gefreut am Mittelmeerstrand in Málaga zu unserer langen Reise an den Atlantik aufzubrechen. Nun soll es endlich auch losgehen!


Doch um ehrlich zu sein, liegt unser Startpunkt bereits mehr als zehn Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Wir fahren nämlich vom Flugplatz aus direkt nach Juntos de los Caminos und brechen dort gegen 14:00 Uhr auf, um die erste Etappe bis Almogía noch an Uschis Ankunftstag zurückzulegen. Wir wollen los! Wir sind zum Pilgern hier – nicht zum Sightseeing! Es erscheint uns wenig einladend, unseren Weg mit einem Marsch durch die Vororte Málagas zu beginnen.

 

Der Camino ist gut markiert und führt durch eine hügelige Landschaft. In einem Weiler auf einer Anhöhe bemerkt uns ein kleiner Junge und will uns unbedingt mit Wasser versorgen. Als wir dankend ablehnen besteht er zumindest darauf, uns den weiteren Wegverlauf genau zu erklären. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Andalusier scheint der der Nordspanier in nichts nachzustehen. Ich habe dieses Zugehen der Bevölkerung auf Pilger bereits auf dem Camino del Norte erlebt, doch für Uschi ist es eine neue Erfahrung. Am späten Nachmittag treffen wir in Almogía ein und laufen erst einmal an der Herberge vorbei. Wir werden hier nicht übernachten, sondern lassen uns von Claudia abholen, um den Abend mit meiner Familie in der Villa Antisa zu verbringen. Wir holen uns lediglich einen Stempel fürs Credencial und warten dann draußen vor der Tür. Am nächsten Morgen bringt Claudia uns wieder hierher und es heißt Abschied nehmen. Für die drei ist der Urlaub zu Ende. Für Uschi und mich beginnt das Abenteuer Jakobsweg erst!


Wir marschieren die ersten drei Tage in Regenklamotten über matschige, aufgeweichte Wege. Doch noch sind wir voller Enthusiasmus und die Landschaft entschädigt uns für die Witterung, die so gar nicht zu unserer Vorstellung vom sonnigen Süden passen will.  Während der nächsten Tage bessert sich das Wetter etwas, der Regen hört weitgehend auf, doch die Temperaturen steigen zunächst nur langsam an. Am Ende des zweiten Tages übernachten wir erstmals in einer Herberge in Villanueva de la Conceptión, nur ein paar Kilometer von der Villa Antisa entfernt und ich hatte ursprünglich den Gedanken, die Villa noch einen Tag länger zu mieten. Es wäre dann aber doch ein zu großer Umweg. Wir sind nicht alleine in der Herberge. Das belgische Paar, etwa in unserem Alter, haben wir bereits gestern an der Herberge in Almogía getroffen. Die beiden sind nett, aber sie schnarchen in der Nacht derart um die Wette, dass ich am Morgen schon Angst vor der kommenden Nacht habe. 


Die Etappe von Villanueva de la Concepción nach Antequera ist von einzigartiger landschaftlicher Schönheit. Wir steigen fast unmerklich bis auf 900 m hoch und erreichen den Pass La Escaleruela im El Torcal, einem Ausläufer der Sierra Súbbetica. Wind und Niederschläge haben hier im Laufe der Jahrmillionen bizarre Gebilde aus scheinbar aufeinandergeschichteten Steinplatten im Sedimentgestein hinterlassen. Der Blick vom Pass aus auf die Provinzhauptstadt Antequera ist grandios. Weit schweift das Auge über die unter uns liegende Ebene zu den Bergketten jenseits der Stadt. Olivenhaine soweit das Auge reicht und auf dem Gebirgskamm am Horizont, aufgereiht wie Perlen auf der Schnur, Windräder, deren Anzahl wir nicht abschätzen können.


Als wir am dritten Tag unserer Wanderung in Antequera ankommen bewahrheitet sich, dass für einen Fernwander-Anfänger der dritte Tag der schwierigste ist. Uschi ist ziemlich fertig, weshalb ich nicht die Pilgerherberge anpeile, sondern die Touristeninfo. Hier schnappt sie sich sofort einen Stuhl, auf dem sie sich niederlässt, während ich nach einer Unterkunft frage, bei der wir höchstens noch zehn Minuten gehen müssen. Man empfiehlt uns das Hotel, in dem meine Familie und ich an unserem ersten Abend letzte Woche gegessen hatten. Dadurch entgehen wir auch den beiden belgischen Schnarchern. Auf dem kurzen Weg zum Hotel bleiben wir allerdings zunächst in einem Café hängen, wo ein starker Café solo unsere Lebensgeister weckt und wir uns durch beinahe das komplette Angebot an Torten und Kuchen hindurchtesten.


Ab Antequera führt die Route tagelang durch Olivenhaine. Die Ausblicke von den Hügeln lassen uns klein werden, angesichts der Millionen Olivenbäume, die in Reih und Glied, einem immer gleichen Muster folgend, das Landschaftsbild prägen.


 

Am folgenden Abend treffen wir die Belgier wieder. Sie sitzen frierend in der Herberge und beklagen, dass der Strom dort ausgefallen ist. Ich finde dies nun nicht besonders schlimm, dann bleibt man eben einmal ungeduscht. Das ist zu überleben und man kann sich ja mit Stirnlampen behelfen, sollte man nachts raus müssen. Es geht den beiden aber mehr um die Elektroheizung, sie haben nämlich keine Schlafsäcke dabei, sondern sich darauf verlassen, dass es in den Herbergen Wolldecken gibt. Die gibt es hier aber nicht! Die beiden sprechen kein Spanisch und ich biete meine Hilfe an und ziehe mit der Frau los, um in den zwei Pensionen, die es hier im Ort geben soll, nachzufragen, ob es ein freies Zimmer gibt. Meine Hilfsbereitschaft ist ob der Schnarcherei der beiden natürlich nicht ganz uneigennützig.  Wir sind über eine Stunde unterwegs, das Dorf ist sehr lang, finden zwar auch beide Unterkünfte, stehen aber jeweils vor verschlossenen Türen. Die Belgierin beschließt daher, per Bus zur nächsten Herberge zu fahren und wir suchen die Bushaltestelle. Dabei werden wir von einer älteren Frau angesprochen, die fragt, ob sie uns weiterhelfen kann. Kurz entschlossen ruft sie, nachdem ich ihr unser Problem erklärt habe, einen Elektriker an und bis wir wieder in der Herberge eintreffen, ist das Problem behoben und Licht, warmes Wasser und Heizung funktionieren wieder.

 

Für den fünften Tag haben wir uns 32 km vorgenommen. Zunächst kommen wir gut voran, doch in den Olivenhainen verlieren wir schnell jegliches Gefühl für die zurückgelegte und noch vor uns liegende Entfernung. Am Nachmittag müssen wir erstmals einen kleinen Fluss furten, was wir dank der inzwischen angestiegenen Temperatur sichtlich genießen. Wir lassen uns zu einer ausgedehnten Rast am Fluss nieder und vergessen Raum und vor allem Zeit. Als wir wieder aufbrechen, ist es bereits später Nachmittag und der Wind frischt wieder auf. Wir schaffen es bis etwa 10 km vor Lucena, bevor es gegen 18:00 Uhr erneut zu regnen beginnt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Engel des Camino stets in Erscheinung treten, wenn man sie wirklich braucht! Noch bevor wir gänzlich nass werden, treffen wir auf einen Bauern, der umgehend sein Tagewerk beendet und uns in die Stadt fährt. Doch der Abbruch nach dem anfänglichen Hochmut hat uns Demut gelehrt. Ab sofort teilen wir uns die Etappen besser ein.

 

Zwei Tage lang folgt der Camino Mozárabe der Via Verde, der stillgelegten und zum Rad- und Wanderweg umgebauten ehemaligen Öl-Bahnlinie, auf der früher die Oliven von den Feldern zu den Ölmühlen transportiert wurden. Hier gibt es kein Suchen nach gelben Pfeilen oder Muschel-Symbolen, der Weg ist vorgegeben, ein Verlaufen unmöglich. Auf der gesamten Strecke hat man kaum Höhenunterschiede, da sämtliche Täler auf Brücken überquert werden.


Die Kürze der ersten Etappe auf dieser Bahnlinie erlaubt in Cabra eine Besichtigung von Burg, Kirche und der in Teilen erhaltenen Stadtmauer, der Muralla Medieval. Auch ein ausführlicher Rundgang durch die Altstadt mit ihren verschlungenen Gassen und den wunderschönen Ornamenten an den Fassaden der Häuser, lohnt allemal.


So angenehm das Gehen ohne Steigung und Gefälle auch ist, wird es doch mit der Zeit etwas langweilig der alten Bahnlinie zu folgen. Wir sind dann auch froh, als wir am zweiten Tag bei Doña Mencía den Radweg verlassen und wieder über Berg und Tal und durch Olivenhaine weiterziehen. Am Nachmittag erhebt sich vor uns in der Ferne ein kegelförmiger Hügel mit einer Burg und einer Kirche obenauf, die von einer im Sonnenlicht leuchtenden weißen Stadt umgeben sind. Wir haben Baena fast erreicht. In der Stadt angekommen, fragen wir uns zur Herberge Ruta del Califato durch, die wie befürchtet ganz oben auf dem Burgberg liegt, aber eine der schönsten Herbergen ist, in denen ich bisher übernachtet habe.


Wir haben auch hier wieder genügend Zeit für einen ausgedehnten Rundgang durch die Stadt und sehen an der Kirche Nuestra Señora de Guadalupe den feierlichen Einzug der Nazareños, der Büßer in ihren langen Umhängen und den Spitzhauben, die das Gesicht verdecken. Später in der Nacht haben wir noch das unerwartete Glück, der Generalprobe der Costaleros für die Semana Santa, die Karwoche, beizuwohnen. Costaleros sind die Träger der Pasos, der großen Figuren, die auf Plattformen ab Palmsonntag von den verschiedenen Bruderschaften, Cofradías genannt, durch die Städte getragen werden.

 


Wir unterbrechen das Pilgern und fahren per Bus nach Córdoba, um an den Feierlichkeiten des Palmsonntags teilzunehmen. Der Tag beginnt für uns mit dem Einzug des Bischofs von Córdoba in die Mezquita, die Kathedrale, und der anschließenden Messe. Während des ganzen Tages laufen wir durch die Altstadt, immer darauf wartend, die dumpfen Trommelschläge zu hören, die die nächste Prozession ankündigen. Die Stadt quillt über von Menschen, in manchen Gassen ist kaum ein Durchkommen. Mehrmals müssen wir uns ganz an eine Häuserwand drücken, um die Pasos vorbeizulassen, während die Bewohner Córdobas Rosenblüten von den Dächern auf die Heiligenfiguren werfen. Erst spät in der Nacht ziehen die Costaleros und Nazareños in die Mezquita ein.


Tags darauf fliege ich nach Hause. Uschi möchte dagegen wissen wie es ist, alleine auf dem Pilgerweg unterwegs zu sein. Sie fährt zurück nach Baena und wandert in drei Tagen über Castro del Rio, Espejo und Santa Cruz bis Córdoba, während die Temperaturen inzwischen die 30°-Marke deutlich überschreiten.

 



3.März 2016

Es geht weiter! Ich bin wieder hier! Ursprünglich hatten wir gemeinsam in Córdoba starten wollen, doch wir haben im vergangenen Jahr wohl irgendwann unsere Pilgerausweise vertauscht, so dass Uschi während ihres Alleingangs fleißig Stempel für mich sammelte. Nun ist es also an mir, ihren Weg in ihrem Credencial zu dokumentieren.


Ich fliege am frühen Morgen nach Madrid, fahre mit dem Sightseeing-Bus durch die Stadt zum Bahnhof und von dort bereits um 13:00 Uhr mit dem Zug nach Córdoba. Ich erstelle eine genaue Wegbeschreibung, teils auch mit Fotos, damit Uschi sich zurechtfindet, wenn sie übermorgen nachkommt. Ich will den Weg, den sie letztes Jahr in drei Tagen lief, in zwei Tagen gehen, morgen früh nach Baena fahren und übermorgen wieder in Córdoba eintreffen. Wir haben uns für 17:00 Uhr an der Mezquita verabredet.


Es ist eine abwechslungsreiche Zugfahrt von Madrid nach Córdoba. Die Olivenhaine weichen bald der Dehesa, riesigen Steineichen-Weiden, auf denen Rinder und Schweine weiden. Und schließlich durchquert der Zug das zentralspanische Gebirge, ehe ich 15:15 Uhr in Córdoba eintreffe. In meinem winzig kleinen Zimmer im Hostal mag ich mich nicht lange aufhalten, auch wenn mich die Frage quält, wie Uschi und ich uns übermorgen zusammen in dieses schmale Bett quetschen sollen. Ich habe aber auch keine Lust, nach einer anderen Unterkunft Ausschau zu halten. So verbringe ich den Rest des Tages mit der Suche nach einer Gaskartusche und lerne dabei nahezu die ganze Stadt kennen. Bei einem Outdoor-Ausrüster, dessen Laden noch kleiner ist als mein Zimmer, werde ich schließlich fündig und Manuel Vicente Fernandez Olmedo hat eine Gaskartusche für mich, deren Preis deutlich größer ist als die Karutsche selbst. Am Abend bemerke ich eine leichte Druckstelle außen an meinem linken Fuß. Ich klebe ein Polsterpflaster drauf, wechsle die Einlagen in meinen Schuhe und hoffe, dass sich daraus nichts Schlimmeres entwickelt. Ich hatte erst einmal eine Blase beim Wandern.


Am nächsten Morgen fahre ich per Bus nach Baena. Das Wetter ist gut, warm aber nicht heiß, etwas windig und sonnig. Ich laufe ab Baena 20 km durch Olivenhaine und komme am Nachmittag in Castro del Rio an, wo ich nach der telefonischen Anmeldung fast eineinhalb Stunden vor der Herberge auf die Polizei warte, die mich einlassen soll. Zwischenzeitlich kommt ein englischer Pilger aus der Herberge, lässt mich ein und verschwindet mit dem Schlüssel. Ich bringe meinen Rucksack nach oben und warte dann weiter auf die Polizisten, die ja kommen wollten, während die Polizisten auf der Wache fast eineinhalb Stunden auf mich warten. Das erfahre ich aber erst Stunden später, als eine junge Frau nochmal für mich die Polizei anruft und mir dann mitteilt, dass ich zwecks Schlüssel und Stempel zur Jefatura kommen soll. Ich habe da wohl etwas falsch verstanden. Nach diesem Anruf laufe ich zur Wache und die Polizisten fahren zur Herberge. Doch irgendwann ist auch dieses Missverständnis ausgeräumt und ich habe nun auch offiziell ein Bett für die Nacht.

 

Ich bin in der Nacht in der Herberge nicht alleine. Es gibt da ja noch diesen Briten, der aber, nachdem wir gemeinsam gekocht und gegessen haben, sein Zeug packt und taktvoll in das zweite Zimmer wechselt. Als ich kurz nach 6:00 Uhr aufbreche und meinen Schlüssel zur Polizeistation bringe, schläft der Brite noch. Es ist stockdunkle Nacht als ich die Stadt verlasse und Richtung Córdoba marschiere. Im Gegensatz zu Uschi, die diese Etappe letztes Jahr teilte, will ich die 37 km bis Córdoba in einem Stück angehen.


Es ist wunderschön, in den erwachenden Tag hineinzuwandern. Mit dem ersten noch grauen Licht des Morgens regen sich die Vögel und es beginnt zunächst noch ganz zart ein unbeschreibliches Konzert aus mehrstimmigem Gezwitscher. Die Landschaft ändert sich langsam, die Olivenhaine weichen ausgedehnten, kilometerlangen Feldern, die sich in sanftem Auf und Ab bis zum fernen Horizont erstrecken. Ich treffe einen Bauern und erfahre, dass hier neben Getreide, das schon kniehoch steht, in erster Linie Sonnenblumen angebaut werden. Muss das im Sommer ein Anblick sein! Sonnenblumen, soweit das Auge reicht!


Uschi müsste bereits im Zug nach Córdoba sitzen, ja eigentlich bald schon dort eintreffen. Doch in einem Telefonat mit ihr erfahre ich, dass sie den Zug verpasst hat und wohl erst nach mir dort eintreffen wird. Die letzten zwei Stunden wandere ich über eine Hochebene, Córdoba bereits im Blick, und der Wind weht mir heftig ins Gesicht. Noch bevor ich den Stadtrand von Córdoba erreiche bekomme ich Schmerzen im rechten Fuß, und zwar so heftig, dass ich eine halbstündige Pause einlege und mich dann für den Weitermarsch schwer auf meine Trekkingstöcke stützen muss. Ich hatte das ganze letzte Jahr schon Probleme mit dem Fuß und der Arzt diagnostizierte einen Fersensporn und eine daraus resultierende Plantarfasziitis. Ich bekam spezielle Einlagen und machte Dehnübungen. Der Sporn war schon zweimal gespritzt und auch mehrfach bestrahlt worden und ich hatte angenommen, dass die Sache damit behoben wäre. Wenigstens ist die Druckstelle am linken Fuß nicht größer geworden.


Gegen 17:00 Uhr treffe ich an der Mezquita ein, ausgepowert aber glücklich, und lasse Uschis Credencial abstempeln. Dann suche ich erneut mein winziges Zimmer auf, bade meine Füße in kaltem Wasser und warte auf Uschi. Eine Stunde später ist sie da und wir tauschen unsere Pilgerausweise wieder. Übrigens: obwohl die Polizisten gestern zum Pilgerausweis auch noch meinen Personalausweis überprüften, ist entweder niemandem aufgefallen, dass die beiden Dokumente wohl verschiedenen Personen gehören, oder es war ihnen schlichtweg egal.


Von Córdoba aus führt uns der Weg in die Sierra Morena mit ihren bewaldeten und buschbestandenen Höhen. Für die 16 km bis Cerro Muriano lassen wir uns Zeit. Viele Spanier nutzen das schöne Wetter zu einem Sonntagsausflug. Nach wenigen Kilometern werden wir von zwei Pilgern überholt, die wir ab jetzt Abend für Abend treffen werden. Auf halber Strecke kommt uns ein Mann von der hiesigen Pilgervereinigung entgegen, der uns, wie wir später erfahren, in der Herberge bei Jan anmeldet. Jan erwartet uns dann auch schon, als wir gegen Abend bei ihm ankommen. Jan ist Holländer und zusammen mit seiner Frau Suzanna, die wir leider nicht kennenlernen, nach Spanien gezogen, um sich ein paar Jahre lang in den Dienst der Pilger zu stellen. Bei ihm werden wir bestens betreut und mit Informationen für die nächsten Tage versorgt.

 

Der Montag beginnt mit Regen und wir laufen den Vormittag über, meist an einer aufgelassenen Bahnlinie entlang, durch die ersten Dehesas. Das sind mit Steineichen bestandene riesige Grasflächen, auf denen in der Regel Schweine weiden. Unsere Mittagspause verbringen wir in einem Café in El Vacar, während sich das Wetter langsam wieder bessert. Kurz bevor wir in Villaharta eintreffen, rasten wir an einem der hier zahlreich zu findenden Quellen-Häuschen. In der Bar Mirasierra werden wir von Ángel Ruiz erwartet. Ich habe mich bereits vor einem Jahr mit seinem Sohn Angelito in Verbindung gesetzt und für die kommenden beiden Nächte ein Zimmer hier reserviert. Die nächste Etappe ist nämlich 38 km lang und Angelito bietet einen Transfer vom und zum Puerto de Calatraveño an, das sich etwa in der Mitte dieser Etappe befindet.


Während dieser beiden Tage zeigt die Landschaft sich von ihrer schönsten Seite, leicht hügelig aber nicht anstrengend, leider jedoch am zweiten Tag nicht mehr so warm und ziemlich windig. Für die Hinfahrt zum Puerto Calatraveño teilen wir uns den Taxi-Service diesmal mit Maryvonne und Roger, den beiden Pilgern, die uns kurz nach Córdoba überholt hatten. Die beiden sind Mitte Siebzig und hängen uns Tag für Tag um Stunden ab, was wohl daran liegt, dass wir uns stets zu einer ausgedehnten Mittagspause im Gras niederlassen und unsere Tasse frisch gebrühten Kaffee genießen, die zwei aber, mangels Sitzgelegenheit, nur kurz im Stehen essen und dann weitermarschieren. 

 

In den folgenden Tagen laufen wir durch viel Weideland mit teils imposanten Steineichen. Die knorrigen Bäume müssen schon etliche Jahrzehnte lang Wind und Wetter trotzen und mit ihren Eicheln dafür sorgen, dass die schwarzen iberischen Schweine ordentlich Muskeln an ihren Schenkeln ansetzen und damit den köstlichen Jamón Ibérico liefern, den wir ausgiebig kosten können. Die Landschaft ist abwechslungsreich, die Menschen in den wenigen Dörfern begegnen uns sehr zuvorkommend, ein Mann öffnet sogar für uns sein Gartentor und lädt uns ein, in seinem Garten, unter riesigen Eukalyptusbäumen zu rasten. Kurz darauf beginnt meine linke Ferse zu stechen. Was ich für einen Fremdkörper im Schuh halte, entpuppt sich immer mehr als ein Problem mit der Achillessehne. Ich habe offenbar dieses Jahr kein Glück mit meinen Füßen.


Wir finden jeden Abend eine ansprechende Unterkunft, sei es nun in einer Herberge, die meist von der Polizei betreut wird, oder in günstigen Pensionen. Die meisten Tagesetappen sind mit einer durchschnittlichen Länge von 20 bis 25 km gut zu schaffen. Nur einmal haben wir eine längere Strecke zu bewältigen, als wir von Hinojosa del Duque ins 32 km entfernte Monterrubio de la Serena wandern und dabei die Grenze in die Extremadura überschreiten. Andalusien liegt nun hinter uns.


Die Extremadura ist die Provinz der Störche. Wir haben zwar auf den Kirchtürmen aller Dörfer durch die wir kamen viele bewohnte Storchennester gesehen, doch was wir hier in der Extremadura antreffen, begeistert mich Tag für Tag wieder. In Campanario stoßen wir erstmals auf einen unangenehmen Pensions-Wirt, der uns zunächst über eine Stunde vor der Türe warten und uns dann spüren lässt, dass er für Pilger offensichtlich nicht viel übrig hat. Wir verzichten daraufhin auf seine zweifelhafte Gastfreundschaft und wandern weiter zur Herberge im alten Bahnhof, die sich noch etwa zwei Kilometer außerhalb des Dorfes befindet. Jedoch nicht, ohne uns vorher bei einer lustigen Damenrunde im Café gegenüber zu erkundigen, ob es dort in der Herberge auch etwas zu essen gibt. Dieser alte Bahnhof ist wirklich empfehlenswert, die Zimmer schön, das Essen gut und Frühstück bekommen wir am Abend gleich mit und können uns dieses am Morgen in der Mikrowelle warm machen. Von unserem Zimmerfenster aus erleben wir einen Sonnenuntergang, der das ganze Farbenspektrum der hereinbrechenden Nacht ausschöpft, während sich der Burgfelsen von Magacela in der Ferne mit seinen Lichtern deutlich vom nächtlichen Himmel abhebt.

 


  • Als wir am nächsten Morgen aufbrechen ahnen wir nicht, dass dies unser letzter Pilgertag in diesem Jahr werden soll. Frohen Mutes folgen wir der Bahnlinie, besichtigen die ausgegrabenen Überreste römischer Siedlungen entlang des Weges, treffen einen jungen Pilger, der seit Granada unterwegs ist und sich uns für ein paar Stunden anschließt. Er behauptet zunächst Franzose zu sein, spräche aber auch Deutsch, weil seine Mutter Deutsche ist. Einen französischen Akzent können wir in seinem Deutsch nicht erkennen, dafür einen eklatanten sächsischen Unterton. Er erzählt uns dann, dass er in ...Dresden, Leipzig, Chemniz ... ich weiß es nicht mehr .... Bier braut. Er hängt auch mehrfach am Handy um Bestellungen aufzunehmen. Wir erfahren von ihm, dass er selbst kein Brauer ist, sondern Aufträge an eine Brauerei vermittelt, die dann in seinem Namen das Bier braut. Angeblich will er auch 50 - 60 km am Tag gelaufen sein, was aber mit seiner Zeitangabe und der Enfernung von hier bis Granada nicht übereinstimmt. Mir soll´s egal sein!


    Wir rasten unterhalb der Burg von Magacela, die uns gestern Abend so in ihren Bann gezogen hat und wandern gemütlich weiter in Richtung Don Benito, wo wir übernachten wollen. Den Bierbrauer lassen wir mit den Worten ziehen, dass wir ihn  nicht aufhalten wollen. Sind wir doch nicht so schnell unterwegs wie er. In La Haba setzen wir uns zu einer Tasse Café con leche auf die Plastikstühle vor einer Bar und als wir wieder aufbrechen wollen, kommt Uschi nur noch wenige Schritte weiter und zieht dann plötzlich Schuhe und Strümpfe aus. Was ich da zu sehen bekomme, treibt nicht nur ihr, sondern auch mir die Tränen in die Augen. Da haben sich gleich mehrere große Blasen an den Zehen, dem Fußballen und sogar unter den Zehennägeln gebildet. Dagegen sind meine Fußschmerzen Kinderkram! Ich verarzte meine Freundin so gut ich kann und mache den Vorschlag, in der hiesigen Herberge um ein Nachtquartier zu fragen. Doch tapfer schleppt Uschi sich die letzten sechs Kilometer bis Don Benito weiter. Wir beschließen, morgen auszusetzen und mit dem Bus nach Santa Amalia zu fahren, wo ich uns bereits im Vorfeld ein Zimmer reserviert habe. Übermorgen wollen wir sehen, wie es weitergeht.


    Ab Santa Amalia wollen wir sowieso ein gutes Stück mit dem Bus fahren, weil man von hier aus etwa 17 km neben der Autobahn und teils sogar auf dem Servicestreifen der Autobahn laufen muss. So besichtigen wir dann am nächsten Tag nur noch die Iglesia Santiago, die Jakobskirche von Don Benito, und fahren anschließend nach Santa Amalia. Im Bus dorthin frage ich nach, wann morgen ein Bus von dort weiter nach Trujillanos fährt und erhalte als Antwort: "Der erste fährt um 07.30 Uhr und dann einfach an der Bushaltestelle warten. Es kommt immer wieder mal einer vorbei." Spanische Zeitangaben sind oft so genau! In Santa Amalia bringt uns ein Bauarbeiter von der Bushaltestelle bis zur Eingangstür des Hotels Fuente de la Magdalena, wo ich für uns und auch für Maryvonne und Roger per Internet Zimmer reserviert habe. Ich hoffe, die beiden kommen auch und lassen mich nicht auf den Kosten sitzen. Wir haben uns gerade unter der Massagedusche etwas frisch gemacht, da erblicke ich die zwei, wie sie unten auf der Plaza ankommen und ins Restaurant gegenüber gehen. Wir gesellen uns dazu und essen zum Abschied nochmals gemeinsam. Ich denke nicht, dass wir die beiden noch einmal sehen werden.

     

    Nach dem Pausentag geht es Uschi besser und wir marschieren um 9 Uhr zur Bushaltestelle und warten. Und wirklich: kaum stehen wir da knapp zwei Stunden herum, kommt auch schon ein Bus und nimmt uns mit. Wir wollen wirklich nur dieses Autobahnstück mit dem Bus zurücklegen und dann ab Trujillanos bis Mérida laufen, wo der Camino Mozárabe auf die Via de la Plata stößt. Doch Jakobus ist offenbar zufrieden damit, dass wir ihn gestern in seiner Kirche in Don Benito besuchten. Der Bus hält nämlich nicht in Trujillanos und wir fahren „notgedrungen“ bis Mérida durch und haben somit einen zusätzlichen Tag gewonnen, diese Stadt zu besichtigen, die von den Römern unter dem Namen Augusta Emérita als Wohnsitz für ruhmreiche, pensionierte Legionäre erbaut wurde.


    Zwei Tage haben wir für diese sehenswerte Stadt, die im Jahr 25 n. Chr. gegründet wurde, zur Verfügung. Nachdem wir ein Zimmer gefunden, die Rucksäcke abgestellt und die Wanderschuhe gegen leichte Treter getauscht haben, machen wir uns auf den Weg, diese römische Bastion zu erkunden. Wir bestaunen die Puente Romano, die als die längste, erhaltene, von Römern erbaute Brücke der Antike gilt. Sie ist ca. 750 m lang und überspannt mit ihren 60 Bögen den Fluss Guadiana. Die Stadt hat so vieles mehr zu bieten: Tempel der Diana, Forum, Circus Maximus, Amphietheater, Triumphbogen des Trajan und immer wieder zieht es uns zum Acueducto de los Milagros, diesem gigantischen Aquädukt, welches das Trink- und Brauchwasser für die ganze Stadt von der 5 km entfernten, ebenfalls von den Römern angelegten Talsperre Proserpina nach Mérida brachte.


    So viel Sightseeing macht natürlich hungrig und wir schlendern durch die Seitengassen abseits der großen Plazas, auf der Suche nach einem Restaurant und bemerken ein Lokal, in welches etliche Männer in Arbeitskleidung eintreten. Weitere Arbeiter verlassen das Lokal gerade, sehen uns unschlüssig da stehen und zeigen mit dem Daumen nach oben auf die Tür. Wir treten ein und werden regelrecht hofiert von der Chefin des Hauses, Senora Sole Ortega. Im Restaurant mit Namen "La Taberna de Sole" hängen zahlreiche signierte Fotos von Stars aus aller Welt. Das Essen ist umwerfend, wobei ich vermutlich platzen würde, sollte ich nach dem Essen tatsächlich umfallen.

     


    Unsere beiden französischen Senioren treffen wir übrigens doch noch einmal wieder. Als wir am zweiten Tag in Mérida den Circus Maximus begutachten, an dem es allerdings nicht viel zu sehen gibt, kommen sie die Straße lang und suchen offensichtlich nach dem richtigen Weg in die Stadt hinein. Wir geben ihnen noch eine kurze Wegbeschreibung zur Touristen- und Pilger-Info und verabschieden uns nun endgültig voneinander.


    Den Camino Mózarabe haben wir erwandert und die Eindrücke, die wir in den beiden Jahres-Abschnitten auf dem Camino sammeln konnten, haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur an unseren Füßen, wo sie hoffentlich bald wieder vergehen werden, sondern in unseren Gedanken, unseren Herzen und unseren Seelen, wo sie uns stärken und uns Kraft geben bis zum nächsten Jahr, wenn es weitergeht – auf der Via de la Plata zu unserem noch fernen Ziel – Finisterre.


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